Abstract der Dissertation
Österreichische Lehrer/innen schaffen immer wieder Unterrichtssituationen, in denen Schüler/innen chemische Versuche durchführen können, oder sie führen an ihren Schulen schulautonom Laborunterricht ein. Da Laborunterricht und Schülerversuche (im Folgenden unter „Laborpraxis“ zusammengefasst) sehr aufwändig sind, wird immer wieder die Frage nach dem Nutzen aufgeworfen: Welche Kompetenzen, die sie durch andere Methoden nicht entwickeln, erwerben Schüler/innen durch Laborpraxis?
In Reviews (Lazarowitz & Tamir, 1994; Lunetta, Hofstein, & Clough, 2007; Singer, Hilton, & Schweingruber, 2006) wird die Forschungslage dazu zusammengefasst, es werden die angestrebten Ziele mit den Evidenzen aus der fachdidaktischen Forschung verglichen. Diese Forschung zeigt, dass viele Erwartungen, die in Laborpraxis gesetzt werden, nicht erfüllt werden. Es wird allerdings sichtbar, dass die Art und Weise, wie die Versuche zum restlichen Unterricht stehen, wesentlich dazu beiträgt, was Schüler/innen lernen. Insbesondere „integrierte Lerneinheiten“, in denen Schülerversuche durch andere Methoden und Medien (Diskussionen, Computer-Animationen, Demonstrationsversuche, Lerntagebücher…) ergänzt werden und ein gemeinsames Ganzes an klaren Lernzielen bilden, führen zu: Steigerung des Interesses der Schüler/innen an den Naturwissenschaften, Entwicklung der Fähigkeit des naturwissenschaftlichen Begründens, Erweiterung des fachlichen Wissens und gesteigertem Verständnis der „Nature of Science“.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Erwartungen und Erfahrungen österreichischer Chemielehrer/innen im Bezug auf Laborpraxis im Vergleich zu den Ergebnissen internationaler fachdidaktischer Forschung. Was können Praxis und Wissenschaft einander sagen, welche gemeinsamen Erkenntnisse gibt es, wo sind die Sichtweisen unterschiedlich? Für die Sichtweise der Praktiker/innen werden etwa 100 schriftliche Berichte von Lehrer/innen, die im Rahmen des Unterstützungssystems IMST in den Jahren 2000 – 2009 veröffentlicht wurden (IMST, 2009) und Unterrichtserfahrungen dokumentieren, analysiert. Es werden Typengruppen beschrieben. Im nächsten Schritt werden einige der Projekte für Fallanalysen ausgewählt und die Erwartungen und Erfahrungen der Lehrer/innen im Rückblick durch Interviews erhoben.
Es wird folgenden Fragen nachgegangen:
Welche für die Gesellschaft und persönlich relevanten Kompetenzen können Schüler/innen durch Laborpraxis nachhaltig erwerben (Literaturrecherche)?
Welche Ziele nennen österreichische Lehrer/innen in den IMST-Berichten als Begründung für die Einführung von Laborpraxis und wie unterscheiden sie sich von den Zielen, die von den fachdidaktischen Forscher/innen untersucht werden?
Gibt es in den Berichten einen Zusammenhang zwischen den von den Lehrer/innen genannten Zielen und der Unterrichtsgestaltung dieser Lehrer/innen (z. B. integrierte Lerneinheiten versus isolierte Versuche, Offenheit der Aufgaben, …)?
Gibt es im Einzelfall nachvollziehbare und begründbare Zusammenhänge zwischen den von den Lehrer/innen genannten Zielen, der Art der Experimente und den beobachteten Ergebnissen?
Wie sehen beispielhaft Unterrichtsgestaltungen zu den unterschiedlichen Zielen aus?
Ziel der Arbeit ist,
- die Sichtweisen der Praktiker/innen und die Sichtweisen der fachdidaktischen Forschung am konkreten Fall „Laborpraxis“ dazustellen;
- unter Einbeziehung von Forschungsergebnissen Handlungsmöglichkeiten für Lehrer/innen aufzuzeigen;
- die Deutungen der Lehrer/innen für Forscher/innen sichtbar und nach Möglichkeit für die weitere Forschung fruchtbar zu machen.